Ärzteinitiative Bamberger Appell
Dr. med. Cornelia Waldmann-Selsam

Bamberg, den 19.07.2007

Eilt sehr

An Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
Bundeskanzleramt

An Ministerin Orosz
Albertstr. 10
01097 Dresden
pressestelle@sms.sachsen.de

Schöneck/Vogtland: starke Häufung von Krebserkrankungen bei Vorhandensein vieler Hochfrequenzsender auf engem Raum
Scheibenberg/Erzgebirge: Häufung von Krebserkrankungen und plötzlichen Todesfällen
Börnersdorf: Häufung von Krebserkrankungen
Dresden: Vielzahl von Geschädigten auf der Flucht vor Hochfrequenzexposition
Bitte um Hilfe und um Vorortuntersuchungen in diesen Orten wegen Gefahr im Verzug
"Burn-out-Syndrom" in Tann/Rhön sofort nach Inbetriebnahme von DVB-T am 29.05.06 auf dem Heidelstein
Bitte um Aussetzen des weiteren Ausbaus von Mobilfunk, digitalem Rundfunk und digitalem Fernsehen

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
Sehr geehrte Frau Ministerin,

gestatten Sie, dass ich mich im Auftrag vieler Kollegen wegen der Gefahr, in der sich viele Menschen in Deutschland aufgrund von Hochfrequenzexposition befinden, erneut persönlich an Sie wende.

Akuter Anlass sind Häufungen von Krebserkrankungen und von plötzlichen Todesfällen an vielen Mobilfunkstandorten in Sachsen, Beobachtungen unsererseits am DVB-T-Sender Heidelstein sowie die geplante Einführung des digitalen Fernsehens DVB-T in Sachsen.

In Schöneck/Vogtland sind nach Zählungen der Anwohner weit über 100 Menschen an Krebs erkrankt seit Anfang der 90iger Jahre. Über 75 hiervon sind bereits gestorben. Innerhalb des Ortes befinden sich Mobilfunk- und Richtfunksender auf dem Heizhaus und dem Gebäude der Techni-Sat. Am Ortsrand steht ein Fernsehturm, von welchem digitales Fernsehen ab 23.07.07 gesendet werden soll.

In Dresden wurde von der Ärzteinitiative eine Vielzahl von Betroffenen besucht. Einige haben ihre hochfrequenzbelasteten Häuser oder Wohnungen verlassen und haben sich in der Folgezeit wieder erholt. Die meisten haben nicht mehr die Kraft, sich in Sicherheit zu bringen.
In der Pfotenauerstraße leben viele schwer kranke Menschen.
In unmittelbarer Nachbarschaft des Senders in der Alfred-Thiele-Straße sind im Jahr 2006/07 fünf Tumorerkrankungen aufgetreten.
In Dresden-Weissig sind mehrere Anwohner weggezogen. Ehepaar M. sucht so oft wie möglich Linderung von den Symptomen im Wald.
In Scheibenberg sind in den letzten sieben Jahren im Umkreis des Senders in der Pfarrstraße dreißig Menschen schwer erkrankt oder gestorben (Tumorerkrankungen, plötzliche Todesfälle). Ehepaar R. hat Zuflucht gesucht in einem Gartenhaus. Dort geht es besser. Ärzte der Landesuntersuchungsanstalt für Gesundheit und Veterinärwesen Sachsen (LUA) hatten in einer Stellungnahme von einem weiteren geplanten Sender abgeraten. Entgegen diesem ärztlichen Rat wurde ein weiterer Sender in der Pfarrstraße montiert und in Betrieb genommen.
In Börnersdorf sind innerhalb weniger Jahre auf engstem Raum viele Tumorerkrankungen aufgetreten.

Nach drei Jahren ärztlicher Erhebungen an über 250 Mobilfunkstandorten besteht dringender Verdacht, dass Menschen weit unterhalb der geltenden Grenzwerte erkranken. Anlässlich eines Fachgespräches beim BfS am 02.08.06 hatten sechs Ärzte diesen Verdacht vorgetragen. Wir wurden aufgefordert, umweltmedizinische Kasuistiken gemäß dem Gliederungsvorschlag des Robert-Koch-Institutes vorzulegen. Im März 2007 wurden Kasuistiken eingereicht. Obwohl aus ärztlicher Sicht akute Gesundheitsgefahr vorliegt, weigern sich die verantwortlichen Behörden, den fundierten ärztlichen Verdacht durch Vorortuntersuchungen zu überprüfen.
Das einzige Zugeständnis, welches das Bundesamt für Strahlenschutz gemacht hatte, war die Planung einer Messung mit anschließenden Probandenuntersuchungen im Haus der Familie Kind in Dresden. Diese wurde vom BfS drei Tage vor dem vereinbarten Termin abgesagt. Damit hat das BfS dokumentiert, dass es kein Interesse an einer Aufklärung der Gesundheitsschäden hat.

Die Ärzteinitiative wurde am 13.07.07 das erste Mal zu einem Standort (Tann in der Rhön) gerufen, wo Menschen, die bisher weitgehend mobilfunkfrei gelebt hatten, durch die Inbetriebnahme des digitalen Fernsehens schlagartig erkrankten. Am 29.05.2006 war das Digitale Antennen-Fernsehen (DVB-T) auf dem Heidelstein in ca. 15 km Entfernung in Betrieb gegangen. Seit diesem Tag sind teilweise unerträgliche Symptome (extremer Kopfdruck, Denkstörungen, Engegefühl in der Brust, depressive Stimmung, inneres Brennen, völlige Antriebslosigkeit, Schwäche in den Beinen, Kurzatmigkeit u.a.) aufgetreten. Die Vögel hatten den Ort verlassen. Die Katzen waren träge geworden und liefen kaum noch in den Garten. In einem weiteren Ort hat sich ein Kind das Leben genommen, ein zweites Kind hat es versucht.

Es muss befürchtet werden, dass die eingesetzte Technik Reaktionsfenster im menschlichen Organismus trifft.

Die ICNIRP bietet in ihren Richtlinien aus dem Jahr 1998 nach eigenen Aussagen den Schutz vor schädlichen Gesundheitsfolgen nur mit Einschränkungen und Vorbehalten.
Die wichtigsten Aussagen aus den Richtlinien sind im Folgenden zusammengefasst.

Nach derzeitigem vorläufigen wissenschaftlichen Kenntnisstand

Vielen Behörden und Ärzten sind die Aussagen im General Approach der ICNIRP von 2002, die Untersuchungen der Betroffenen erfordern, gar nicht bekannt.

Auszug (Seite 541): "... In determining whether an adverse effect is present in a person, it is useful to consider the different ways data have been obtained.
Results of tests (e.g., chemical analysis of blood) may be read off an instrument.
Signs are effects that may be observed by a physician or other examiner, e.g., a rash or swelling.
Symptoms are effects that only the exposed subject experiences, e.g., pain, nausea, or fatigue.
A diagnosis of disease is normally based on an agreed specific combination of such endpoints.
... The exposure guidelines developed by ICNIRP are intended to protect against the adverse health effects of NIR exposure. Because adverse consequences of NIR exposure can vary across the entire range from trivial to life threatening, a balanced judgement is required before deciding on exposure guidance."

Es wird darin zugestanden, dass manche Menschen besonders stark reagieren und dass es bei gleichzeitigem Vorhandensein weiterer Noxen zu Synergismen kommen kann.

Seite 546: "People being protected
Different groups in a population may have differences in their ability to tolerate a particular NIR exposure. For example, children, the elderly, and some chronically ill people might have a lower tolerance for one or more forms of NIR exposure than the rest of the population. Under such circumstances, it may be useful or necessary to develop separate guideline levels for different groups within the general population, but it may be more effective to adjust the guidelines for the general population to include such groups.
Some guidelines may still not provide adequate protection for certain sensitive individuals nor for normal individuals exposed concomitantly to other agents, which may exacerbate the effect of the NIR exposure, an example being individuals with photosensitivity.
Where such situations have been identified, appropriate specific advice should be developed - within the context of scientific knowledge."

Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit von Untersuchungen, Stellen von Diagnosen und Abhilfemaßnahmen.

Die Situation ist sehr ernst und gefährlich. Es betrifft uns alle. Ein weiterer Ausbau ist nicht verantwortbar. Daher bitte ich Sie, den weiteren Ausbau des Mobilfunks sowie des digitalen Rundfunks und Fernsehens anzuhalten.

In äußerster Sorge
i.V. Dr. med. Cornelia Waldmann-Selsam